Die Illusion der Meterhechte
…und was die Niederlande damit zu tun haben
Ihr kennt das sicher: Tagelang müht ihr euch an eurem heimischen Gewässer ab, wählt die Köder mit Bedacht, wechselt zwischen Spots und Techniken – und seid am Ende froh, wenn ihr einen 70 cm großen Hecht ans Band bekommt. Doch dann scrollt ihr durch YouTube, stöbert in Angelmagazinen oder hört einem „Profi“ bei einer Angelmesse zu. Die Botschaft ist immer dieselbe: Mit den richtigen Ködern und Techniken sei es kinderleicht, laufend Hechte über einen Meter zu fangen. Oft genug lachen euch auf den Fotos sogar kapitale 120er oder noch größere Räuber entgegen. Aber wie viel Realität steckt hinter diesen Hochglanzbildern?
Meterhechte als Werbeversprechen?
Die Videos und Artikel erwecken den Eindruck, dass die Größe des Fangs hauptsächlich von den Fähigkeiten des Anglers abhängt – und natürlich von der Wahl des „richtigen“ Köders. Dabei wird gerne verschwiegen, dass viele dieser Rekordfänge nicht in durchschnittlichen, heimischen Gewässern stattfinden, sondern in einem echten Hechtparadies: den Niederlanden. Hier ist das Angeln auf kapitale Hechte kein Zufall, sondern das Ergebnis von außergewöhnlichen Bedingungen, die in Mitteleuropa so kaum zu finden sind.
Was macht die Niederlande so besonders?
Anders als in vielen deutschen oder österreichischen Gewässern, in denen ein Hecht von 70 oder 80 cm oft schon als sehr ordentlich gilt, sind die Niederlande ein Hechtmekka. Es beginnt bei der schieren Menge an idealen Hechtgewässern: Flüsse, Kanäle, Polder und riesige Seen bieten eine perfekte Infrastruktur. Hier gibt es reichlich Nahrung, viel Raum zum Wachsen und eine intensive Förderung durch nachhaltige Fischereipolitik. Während in Deutschland vielerorts Besatzprogramme und eine teils übermäßige Befischung die Bestände ausdünnen, profitieren die niederländischen Hechte von einem starken Fokus auf „Catch and Release“. Die Fische dürfen wachsen und erreichen deutlich häufiger kapitale Größen.
Kein Vergleich zu durchschnittlichen Gewässern
Wenn ihr euch das nächste Mal fragt, warum ihr in eurem Vereinssee keinen Meterhecht findet, liegt das nicht unbedingt an euch – mitunter gibt es dort ganz einfach keinen. Viele deutsche Gewässer sind klein, stark befischt oder durch Umweltbelastungen und fehlenden Schutz limitiert. Zudem wird nahezu jeder maßige Hecht mitgenommen und landet in der Pfanne. Die Niederlande bieten dagegen großflächige Gewässer, in denen Hechte wenig Druck und viele Rückzugsmöglichkeiten haben. Dazu kommt die Professionalität der niederländischen Fischereiverbände, die genau wissen, wie wichtig große Hechte für die Angelwirtschaft sind – und das spiegelt sich in den Bedingungen wider.
Der Druck auf die Angler
Was bleibt, ist der Druck, den diese Hochglanzbilder auf viele Angler ausüben. Es entsteht ein unrealistisches Bild, dass jeder laufend Meterhechte fangen kann, wenn er sich nur genug anstrengt – oder – und das ist der Kern der (Werbe-)Botschaft: die richtigen Köder kauft. Aber die Realität ist oft eine andere. Faktoren, die einen großen Hecht möglich machen, hängen stark vom Gewässer ab und nicht nur von der Technik oder dem Können des Anglers. Es ist keine Schande, stolz auf einen 70 cm großen Hecht zu sein, vor allem, wenn man weiß, wie schwierig es ist, in heimischen Gewässern größere Exemplare zu fangen.
Ein Plädoyer für mehr Ehrlichkeit
Natürlich ist es inspirierend, sich die Hechtvideos aus den Niederlanden anzusehen und von kapitalen Räubern zu träumen. Doch wir sollten nicht vergessen, dass es in vielen Fällen nicht die „Profis“ sind, die den Unterschied machen, sondern die außergewöhnlichen Bedingungen, die in diesen Gewässern herrschen. Statt euch unter Druck setzen zu lassen, sollten wir die Fische feiern, die wir in unseren eigenen Gewässern fangen – egal, ob sie 70 cm, 80 cm oder mal knapp unter einem Meter liegen.
Vielleicht ist es an der Zeit, dass die Angelindustrie transparenter wird und nicht nur die Traumfänge zeigt, sondern auch die Realität vieler Angler respektiert. Denn eines ist klar: Meterhechte sind beeindruckend, aber an durchschnittlichen Gewässern in unseren Breiten eher die Ausnahme als die Regel.