Die Schleie als „Doktorfisch“ – Mythos oder Wahrheit?
Die Schleie ist ein Fisch, der nicht nur durch sein robustes Erscheinungsbild, sondern vor allem durch seine auffällige Schleimschicht bekannt ist. In der Vergangenheit wurde dieser Schleim mit heilenden Eigenschaften in Verbindung gebracht, was der Schleie den Beinamen „Doktorfisch“ einbrachte. Besonders in der Anglerwelt hält sich hartnäckig das Gerücht, dass verletzte oder kranke Fische sich aktiv an Schleien reiben, um von deren Schleim zu profitieren.
Doch wie viel Wahrheit steckt hinter diesem Mythos? Gibt es wissenschaftliche Beweise für eine heilende Wirkung des Schleienschleims? Und welche Funktion hat der Schleim tatsächlich für die Schleie selbst?
Historischer Hintergrund: Schleie als Heilerfisch
Die Vorstellung, dass die Schleie eine heilende Wirkung besitzt, reicht weit zurück. Besonders im Mittelalter wurde ihr Schleim als medizinisches Heilmittel angesehen. Man glaubte, dass er gegen Fieber, Gelbsucht, Kopfschmerzen und sogar Zahnschmerzen helfen könne. In einigen Regionen Englands wird die Schleie deshalb bis heute als „Doctor Fish“ bezeichnet.
Es existieren Berichte, dass Schleien früher zu medizinischen Zwecken auf die Haut von Menschen gelegt wurden, in der Hoffnung, dass ihr Schleim Krankheiten heilen könnte. In der Volksmedizin wurde er auch als Salbe für Wunden genutzt oder in Wasser aufgelöst und als Trank gegen Krankheiten verabreicht.
Der Mythos: Selbstheilung durch Reiben an der Schleie
Besonders unter Anglern hält sich die Vorstellung, dass verletzte oder kranke Fische gezielt die Nähe von Schleien suchen. Dabei sollen sie sich an deren Körper reiben, um deren Schleim aufzunehmen und so Infektionen oder Wunden zu heilen.
Dieser Mythos basiert auf zwei Annahmen:
- Der Schleim der Schleie enthält heilende Substanzen, die Infektionen bekämpfen können.
- Andere Fische erkennen diese Wirkung und nutzen sie aktiv zur Selbstheilung.
Besonders Raubfische wie Hechte oder Zander, die häufig durch Revierkämpfe oder Attacken verletzt werden, sollen sich angeblich gezielt an Schleien reiben. Auch bei Friedfischen wird das Verhalten beschrieben, wenn sie etwa durch Pilzinfektionen oder Parasiten geschwächt sind.
Doch gibt es dafür wissenschaftliche Beweise?
Wissenschaftliche Betrachtung: Welche Funktion hat der Schleim der Schleie wirklich?
Tatsächlich besitzt die Schleie eine sehr dicke und schützende Schleimschicht, die ihr dabei hilft, sich gegen Krankheiten und Parasiten zu verteidigen. Doch bedeutet das auch, dass dieser Schleim heilende Eigenschaften für andere Fische hat?
Schutzfunktion für die Schleie selbst
Die Schleimschicht der Schleie hat mehrere wissenschaftlich belegte Funktionen:
- Schutz vor Infektionen: Der Schleim enthält antibakterielle und antimykotische Substanzen, die das Eindringen von Krankheitserregern verhindern.
- Reduzierung von Parasiten: Der Schleim erschwert es Parasiten, sich an der Haut der Schleie festzusetzen.
- Verbesserung der Atmung: Die dicke Schleimschicht hilft, den Sauerstoffaustausch über die Haut zu erleichtern, insbesondere in warmen und sauerstoffarmen Gewässern.
Wissenschaftliche Untersuchungen zur heilenden Wirkung
Bisher gibt es keine wissenschaftlichen Studien, die belegen, dass der Schleim der Schleie eine direkte heilende Wirkung auf andere Fische hat. Zwar ist bekannt, dass viele Fischarten einen schützenden Schleimfilm besitzen, aber eine aktive Heilung durch den Schleim der Schleie konnte nicht nachgewiesen werden.
Eine mögliche Erklärung für die Beobachtung, dass sich Fische an Schleien reiben, könnte sein:
Sozialverhalten oder Stressreaktionen:
In Gewässern mit hoher Fischdichte kann es vorkommen, dass Fische sich aneinander reiben – dies muss aber nicht zwingend mit einer Heilwirkung zusammenhängen.
Parasitenabwehr durch mechanisches Reiben:
Manche Fische nutzen feste Oberflächen, um Parasiten oder abgestorbene Hautpartikel loszuwerden. Es ist möglich, dass Schleien hier einfach eine bequeme „Reibefläche“ bieten.
Alternative Erklärungen für die Heilung von Fischen
Wenn Angler berichten, dass verletzte Fische sich erholen oder infizierte Fische nach Kontakt mit Schleien plötzlich wieder gesund erscheinen, könnte dies auf andere natürliche Heilmechanismen zurückzuführen sein:
Natürliche Regeneration von Fischen
Fische haben ein bemerkenswertes Regenerationsvermögen. Selbst schwere Verletzungen durch Anglhaken oder Raubfischangriffe können mit der Zeit vollständig verheilen. Das bedeutet, dass ein Fisch, der sich in der Nähe von Schleien aufhält, möglicherweise einfach durch seine eigene Immunabwehr genesen ist.
Saisonale Heilung durch steigende Temperaturen
Viele Krankheiten, insbesondere Pilzinfektionen, treten bei kälteren Wassertemperaturen verstärkt auf. Wenn sich das Wasser erwärmt, können sich betroffene Fische von selbst erholen. Eine vermeintliche „Heilung durch Schleienkontakt“ könnte in Wirklichkeit nur mit steigenden Temperaturen oder besseren Umweltbedingungen zusammenhängen.
Die Rolle von Mikroorganismen im Wasser
In gesunden Gewässern gibt es eine Vielzahl von nützlichen Bakterien und Mikroorganismen, die Wunden schneller heilen lassen. Der Schleim der Schleie könnte indirekt zur Aufrechterhaltung eines stabilen Mikroklimas im Wasser beitragen, aber nicht als direkte Heilsubstanz für andere Fische wirken.
Schleie als „Doktorfisch“ – Mythos oder Wahrheit?
Was ist Fakt?
- Die Schleie besitzt eine dicke Schleimschicht mit schützenden und antibakteriellen Eigenschaften.
- Diese Schleimschicht hilft der Schleie selbst, Krankheiten und Parasiten zu vermeiden.
- Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass Fischschleim generell eine wichtige Schutzfunktion für Fische hat.
Was bleibt ein Mythos?
- Es gibt keine wissenschaftlichen Beweise, dass sich verletzte Fische bewusst an Schleien reiben, um sich zu heilen.
- Die heilende Wirkung des Schleischleims auf andere Fische ist nicht belegt.
- Die alten Überlieferungen über die Schleie als Heilmittel für Menschen beruhen auf Volksglauben, nicht auf wissenschaftlicher Grundlage.
Auch wenn die Schleie nicht tatsächlich ein „Doktorfisch“ ist, bleibt sie eine faszinierende Art mit besonderen Eigenschaften. Ihre robuste Natur, die Fähigkeit zur Tarnung und ihr Schutzmechanismus durch Schleim machen sie zu einem bemerkenswerten Fisch. Der Mythos ihrer heilenden Wirkung mag nicht belegt sein, aber er zeigt, wie eng die Menschen seit Jahrhunderten mit der Natur verbunden sind und welche besonderen Geschichten sich um bestimmte Fischarten ranken.
Ob Mythos oder Wahrheit – die Schleie wird unter Anglern wohl noch lange als „Doktorfisch“ bekannt bleiben.