Livescoping – Ist das noch Angeln?
Livescoping – Eine Technik verändert den Angelsport
Ein Fisch bewegt sich im Freiwasser, Sekunden später erscheint sein Umriss gestochen scharf auf dem Display. Der Angler sieht genau, wie der Zander auf den Köder reagiert – zögert, nachsetzt, zupackt. So funktioniert Livescoping: eine Echtzeit-Sonartechnologie, die die Unterwasserwelt sichtbar macht und derzeit die Anglerszene in Deutschland spaltet.
Für die einen ist sie ein faszinierender Fortschritt, für andere eine ethische Grenzüberschreitung. Und für einige Verbände ein Grund zum Eingreifen.
Verbote und Einschränkungen: Erste Reaktionen aus Deutschland
Die Diskussion ist längst nicht mehr theoretisch. Schleswig-Holstein reagierte bereits im Juni 2025 mit einem Verbot von Livescoping an acht Gewässern. Die Entscheidung fiel nach Berichten über massive nächtliche Fänge – teilweise Dutzende Hechte pro Angler auf dem Plöner See. Auch in der Schweiz haben mehrere Kantone Livescoping zumindest eingeschränkt. Die Sorge: Die Technik könnte das natürliche Gleichgewicht in den Gewässern gefährden und das Angeln zu einer Art digitalem Beutemachen verkommen lassen.
Effizienter Fang oder unfaire Jagd?
Befürworter loben die Effizienz und Selektivität, die Livescoping ermögliche. Wer genau sieht, was sich unter dem Boot abspielt, könne gezielter angeln und Beifänge vermeiden. Außerdem eröffne die Technik völlig neue Möglichkeiten des Lernens über Fischverhalten. Für viele sei Livescoping ein legitimer technologischer Fortschritt – so wie einst GPS oder klassische Echolote. Gegner hingegen sehen darin ein Ende des fairen Angelns. Wenn Fische wie Spielfiguren live verfolgt und „abgeschossen“ werden können, verliere der Sport seine Seele, so der Tenor vieler traditioneller Angler. Die Jagd werde zum reinen Bildschirmspiel – bei dem Intuition, Geduld und Naturverständnis zunehmend durch Technik ersetzt würden.
Was sagt die Wissenschaft?
Mehrere Studien, vor allem aus Nordamerika, liefern bislang ein gemischtes Bild. Eine Untersuchung zur Nutzung von Livescoping beim Angeln auf Crappie zeigte, dass Angler mit Echtzeitsonar deutlich mehr Fische fingen – durchschnittlich 2,4 pro Stunde gegenüber 1,1 ohne Technik. Allerdings behielten sie im Schnitt weniger Fische, sodass der tatsächliche Entnahmedruck nicht zwangsläufig höher lag. Dennoch war der Eingriff in das Fischverhalten messbar, ebenso wie die gezielte Befischung großer Individuen.
In einer anderen Studie zur Auswirkung auf Blue Catfish zeigte sich kein nennenswerter Unterschied im Gesamtertrag, aber ein deutlich verändertes Verhalten bei den Anglern: Sie verbrachten mehr Zeit damit, Fische zu beobachten, zu verfolgen und selektiv zu beangeln. Auch das beeinflusst langfristig die Populationsstruktur – insbesondere, wenn sich der Fokus auf große, laichfähige Exemplare richtet.
Europäische fischereiwissenschaftliche Analysen warnen zusätzlich: Die Kombination aus technischer Effizienz, steigender Verbreitung der Geräte und mangelnder Regulierung könne in empfindlichen Ökosystemen erhebliche Auswirkungen haben – nicht nur auf die Fischpopulationen, sondern auch auf das soziale Gefüge unter Anglern.
Barotrauma, Stress und genetischer Druck
Ein oft übersehener Aspekt sind die biologischen Folgen für die Fische selbst. Besonders beim pelagischen Angeln – also dem gezielten Befischen freischwimmender Fische in großen Tiefen – kommt es häufig zu Barotrauma. Dabei führt der abrupte Druckunterschied beim schnellen Hochholen zu inneren Verletzungen, die auch bei zurückgesetzten Fischen zum Tod führen können. Hinzu kommt: Livescoping macht es möglich, gezielt große, erfahrene Tiere zu befischen – also genau die Individuen, die für die Fortpflanzung und genetische Vielfalt einer Population besonders wichtig sind.
Der ethische Riss in der Anglerschaft
In Angel-Communities ist die Debatte längst emotional. Für die einen gehört Technologie selbstverständlich zum modernen Angeln. Andere werfen Livescoping-Anglern vor, das Herzstück des Angelns zu verraten: das bewusste Auseinandersetzen mit Natur, Zufall und Grenzen. Immer wieder fällt dabei der Vorwurf, man betreibe eher „digitale Jagd“ als eine sportliche oder naturnahe Beschäftigung. Der technische Vorsprung, so heißt es, spalte die Szene – zwischen „klassischen“ Uferanglern und hochgerüsteten Livescope-Booten.

Zwischen Fortschritt und Verantwortung
Die Hersteller selbst geben sich derzeit zurückhaltend. Sie verweisen auf die Eigenverantwortung der Nutzer und plädieren für maßvolle Nutzung statt Pauschalverbot. Einige schlagen Alternativen vor: Tiefenlimits, Treibankerpflicht, nächtliche Nutzungsverbote oder eingeschränkte Schonzeiten für den Livescope-Einsatz. Auch Catch-and-Release-Regelungen könnten helfen, den Effekt auf empfindliche Bestände abzumildern.
Fazit: Ein fragwürdiger Fortschritt
Livescoping verändert das Angeln – tiefgreifend und unumkehrbar. Technologisch beeindruckend, zweifellos. Doch der Preis ist hoch: Das natürliche Verhalten der Fische wird manipuliert, soziale Gräben zwischen Anglern tun sich auf, und das eigentliche Erlebnis des Angelns – als Geduldsspiel, als Naturbeobachtung, als stille Herausforderung – droht zu verschwinden. Die wissenschaftlichen Daten liefern keine eindeutige Antwort, aber sie zeichnen ein Bild: Livescoping kann effizient sein, ja – aber auch riskant. Für den Fisch. Für den Bestand. Und für die Kultur des Angelns selbst.
Die entscheidende Frage lautet also nicht, ob Livescoping funktioniert. Sondern ob wir wirklich wollen, was damit möglich ist.
Quellenverzeichnis:
- Arkansas Game and Fish Commission (2021): Angler Survey Study
- Neely et al. (2023): Effects of live-imaging sonar on Blue Catfish angler success, perception and behavior
- Sabo et al. (2022): Evaluating effects of live-imaging sonar on angler catch of crappies
- Fisheries Magazine (2024): The impact of emerging sonar technologies on fisheries management
- KN-Online (2025): Bericht zum Livescope-Verbot in Schleswig-Holstein
- Petri-Heil: Livescope-Verbot und Positionen von Herstellern



